Donnerstag, 29. Juni 2023

Bundesfinanzhof zur Besteuerung von Gewinnen aus Online-Poker

BFH, Urteil vom 22. Februar 2023, X R 8/21

ECLI:DE:BFH:2023:U.220223.XR8.21.0

EStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 Abs 2, GewStG § 2 Abs 1, AO § 12 S 1, AO § 12 S 2 Nr 1, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 2, EStG § 15 Abs 2 S 1, EStG § 22 Nr 3, EStG VZ 2009 , GewStG VZ 2009

vorgehend FG Münster, 10. März 2021, Az: 11 K 3030/15 E,G

Leitsätze:

1. Auch Gewinne aus dem Online-Pokerspiel (hier: in der Variante "Texas Hold'em") können als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterliegen (Fortführung der BFH-Urteile vom 16.09.2015 - X R 43/12, BFHE 2151, 37, BStBl II 2016, 48 ‑ Turnierpoker ‑, und vom 25.02.2021 - III R 67/18, BFH/NV 2021, 1070 ‑ Casinopoker ‑).

2. Die erforderliche Abgrenzung zu privaten Tätigkeiten richtet sich bei Spielern ‑ ebenso wie bei Sportlern ‑ danach, ob der Steuerpflichtige mit seiner Betätigung private Spielbedürfnisse gleich einem Freizeit- oder Hobbyspieler befriedigt oder ob in der Gesamtschau strukturell-gewerbliche Aspekte entscheidend in den Vordergrund rücken. Für das insoweit maßgebliche "Leitbild eines Berufsspielers" ist vor allem das planmäßige Ausnutzen eines Marktes unter Einsatz "beruflicher" Erfahrungen prägend.

3. Bei einem Online-Pokerspieler ist der Raum, in dem sich der Computer befindet, von dem aus der Spieler seine Tätigkeit ausübt, als Betriebsstätte anzusehen, wenn der Steuerpflichtige über diesen Raum eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Sofern diese Betriebsstätte sich im Inland befindet, unterliegt die Tätigkeit der Gewerbesteuer (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 25.02.2021 - III R 67/18, BFH/NV 2021, 1070, Rz 28 ‑ Casinopoker ‑).

Montag, 26. Juli 2021

Bundesfinanzhof zu gewerblichen Einkünfte eines Pokerspielers

BFH, Urteil vom 25. Februar 2021, III R 67/18

ECLI:DE:BFH:2021:U.250221.IIIR67.18.0

vorgehend FG Münster, 12. Oktober 2018, Az: 14 K 799/11 E,G

Leitsätze:

1. NV: Überschreitet die nachhaltige Betätigung eines Pokerspielers die Grenze zur Gewerblichkeit, macht es keinen Unterschied, ob der Spieler die Gewinne bei Pokerturnieren oder bei Spielen in Casinos erzielt.

2. NV: Ein Gewerbesteuer-Messbetrag kann bei einem Berufspokerspieler nur dann festgesetzt werden, wenn er eine Betriebsstätte im Inland unterhält. Hierzu hat das FG Feststellungen zu treffen.

Tenor


Die Revision der Kläger wird insoweit als unbegründet zurückgewiesen, als das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12.10.2018 - 14 K 799/11 E,G die Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 2007 betrifft.

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil aufgehoben, soweit es die Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrags für das Jahr 2007 betrifft.

Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) wurde bekannt, dass der Kläger an Pokerturnieren teilnahm. Daraus resultierende Einnahmen hatten die Kläger nicht in den Einkommensteuererklärungen angegeben. Das FA führte beim Kläger im Jahr 2008 eine Außenprüfung für die Jahre 2004 bis 2006 durch. Im Verlauf der Prüfung gaben die Kläger die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 ab. Darin gaben sie an, der Kläger habe Glücksspielgewinne erzielt, diese seien aber nicht steuerpflichtig. Das FA folgte dem nicht. Mit Hilfe von Internetrecherchen schätzte es die Gewinne des Klägers aus seiner Tätigkeit als Berufsspieler und kam auf Beträge von X € (2004), X € (2005) und X € (2006). Für das Jahr 2007 (Streitjahr) setzte es einen Betrag von X € als "Pokerergebnis" an, der auf Angaben des Klägers beruhte.

Das FA erließ gegenüber den Klägern geänderte oder erstmalige Einkommensteuerbescheide, in denen gewerbliche Einkünfte des Klägers als Pokerspieler erfasst waren, u.a. einen Einkommensteuerbescheid 2007 vom 30.11.2009. Außerdem erließ es gegenüber dem Kläger Gewerbesteuer-Messbescheide, u.a. einen Bescheid für das Jahr 2007, der auf einen Betrag von X € lautet. Die dagegen gerichteten Einsprüche der Kläger (Einkommensteuer) und des Klägers (Gewerbesteuer-Messbetrag) hatten keinen Erfolg (Einspruchsentscheidungen vom 04.02.2011).

Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend erhobenen Klage, mit welcher die Kläger begehrten, die Einkünfte aus den Pokerspielen unberücksichtigt zu lassen, hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2006 statt. Es war der Ansicht, der Kläger habe in diesen Jahren noch keine steuerpflichtigen Einkünfte als Berufspokerspieler erzielt.

Im Übrigen (2007) wies das FG die Klage ab. Ab 2007 seien gewerbliche Einkünfte angefallen. In diesem Jahr habe der Kläger das zuvor ruhende Arbeitsverhältnis endgültig beendet und damit deutlich gemacht, dass er seinen Lebensunterhalt künftig durch eine Spielertätigkeit bestreiten könne und wolle. Der angeblich schlechte Gesundheitszustand der Klägerin habe den Kläger nicht davon abgehalten, der Spieltätigkeit intensiv nachzugehen und dafür eine Wohnung in B (Spielcasino) anzumieten. Auch habe der Kläger aufgrund der Teilnahme an Pokerturnieren und an weiteren Pokerspielen umfangreiche Turniererfahrung erlangt, sodass die Gewinne nicht mehr allein von guten Karten und glücklichen Spielverläufen abhängig gewesen seien. Ende 2007/Anfang 2008 sei der Kläger von dem Veranstalter D angesprochen, später "vermarktet" und durch die Einräumung von "Gebührenvorteilen" finanziell gefördert worden. Die Höhe der vom FA für das Jahr 2007 geschätzten Einkünfte des Klägers aus seiner Pokertätigkeit war nach Ansicht des FG nicht zu beanstanden.

Gegen das Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer Revision insoweit, als es das Jahr 2007 betrifft. Zur Begründung tragen sie vor, das FG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen. Es habe angenommen, dass der Kläger ab dem Jahr 2007 aufgrund seiner Turniererfahrung und seiner gewonnenen Kenntnisse nicht mehr nur vom Spielglück abhängig gewesen sei. Bei dieser Annahme hätte der Kläger in den Folgejahren immer erfolgreicher sein müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, vielmehr habe der Kläger in den Jahren nach 2007 bei vergleichbarer Intensität Verluste erlitten. Dass das FG den Vortrag der Kläger, es seien ab 2007 Verluste entstanden, als nicht glaubhaft ansehen wolle, sei erstmals den Urteilsgründen zu entnehmen gewesen. Bis dahin sei der Vortrag unstreitig gewesen.

Eine Überraschungsentscheidung sei auch insofern anzunehmen, als das FG hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den als Begründung angeführten schlechten Gesundheitszustand der Klägerin als nicht glaubwürdig angesehen habe. Im Vorfeld sei der diesbezügliche Vortrag nicht angezweifelt worden. Hätte das Gericht einen entsprechenden Hinweis gegeben, wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, den Nachweis für die Richtigkeit des Vortrags zu erbringen. Soweit das FG angeführt habe, dass es angesichts des Gesundheitszustands der Klägerin nahegelegen hätte, dass der Kläger im Hinblick auf eine sichere Einkommensquelle weiterhin seiner Arbeitstätigkeit nachgegangen wäre, habe es außer Acht gelassen, dass die finanzielle Lebensgrundlage durch Ruhegehaltsansprüche der Klägerin und durch die finanzielle Unterstützung der Eltern abgesichert gewesen sei. Soweit das FG als Indiz für eine gewerbliche Tätigkeit des Klägers den Umstand angeführt habe, dass der Kläger in der Nähe von B eine Wohnung angemietet habe, sei darauf hinzuweisen, dass dies erst nach dem Jahr 2008 geschehen sei. Auch habe der Kläger die Wohnung nur aus Kostengründen angemietet, weil dies günstiger gewesen sei, als wenn er bei den Casinobesuchen in einem Hotel übernachtet hätte. Ein Verfahrensmangel liege darüber hinaus auch hinsichtlich der Beurteilung der Beziehungen zum Turnierveranstalter D vor. Das FG habe eine vertragliche Vereinbarung unterstellt. Den Vortrag, wonach es eine derartige Vereinbarung nicht gegeben habe, habe das Gericht als nicht glaubhaft angesehen. Wenn der Kläger akzeptiert habe, als E bezeichnet zu werden, dann habe dies daran gelegen, dass er nichts dagegen gehabt habe, mit einem der renommiertesten Anbieter in Verbindung gebracht zu werden. In den Jahren vor 2008 hätten die Beziehungen zu D ohnehin keine Rolle gespielt.

Das angefochtene Urteil sei auch in materiell-rechtlicher Hinsicht unrichtig. Das FG habe zu Recht angenommen, dass der Kläger in den Jahren 2004 bis 2006 nicht gewerblich tätig gewesen sei und Verluste erlitten habe. Die Teilnahme an drei Turnieren im Jahr 2006 habe das FG nicht als gewerblich angesehen, sodass die Teilnahme an nur einem Turnier im Streitjahr nicht ausreichen könne. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), in der Gewerblichkeit bejaht worden sei, könne auf Cash Games nicht übertragen werden.

Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es die Einkommensteuer für das Jahr 2007 betrifft und den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 30.11.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.02.2011 dahin zu ändern, dass der Ansatz von Einkünften aus Gewerbebetrieb unterbleibt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es den Gewerbesteuer-Messbetrag für das Jahr 2007 betrifft, ebenso den Gewerbesteuer-Messbescheid 2007 vom 05.02.2010 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 04.02.2011.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA trägt vor, das FG-Urteil sei keine Überraschungsentscheidung. Das FG habe lediglich den Vortrag der Kläger anders gewürdigt, als diese es sich erhofft hätten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet, soweit das angefochtene Urteil die gegenüber den Klägern festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 2007 betrifft. Insoweit wird sie zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Soweit das Urteil die Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrags 2007 gegenüber dem Kläger betrifft, ist die Revision begründet, das Urteil ist insoweit aufzuheben. Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

1. Die Entscheidung des FG, das die Tätigkeit des Klägers als die eines Berufspokerspielers beurteilt hat, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Gewerbebetrieb ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine selbständige und nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen wird, sich als Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und nicht als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft oder als selbständige Arbeit anzusehen ist; darüber hinaus darf es sich bei der Tätigkeit nicht um private Vermögensverwaltung handeln (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10.12.2001 - GrS 1/98, BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291).

b) Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb einerseits und der nicht steuerbaren Sphäre sowie anderen Einkunftsarten andererseits ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abzustellen. In Zweifelsfällen ist die gerichtsbekannte und nicht beweisbedürftige Auffassung darüber maßgebend, ob die Tätigkeit, soll sie gewerblich sein, dem Bild entspricht, das nach der Verkehrsanschauung einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist (Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 03.07.1995 - GrS 1/93, BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617, unter C.I., und in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C.II.; BFH-Urteile vom 06.03.1991 - X R 39/88, BFHE 164, 53, BStBl II 1991, 631, unter 3.a; vom 20.12.2000 - X R 1/97, BFHE 194, 198, BStBl II 2001, 706, unter II.2.a, und vom 09.07.2019 - X R 9/17, BFHE 265, 354, BFH/NV 2020, 124).

c) In der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung ist anerkannt, dass bei einem "reinen" Glücksspiel keine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr vorliegt, da es an einer Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung fehlt (vgl. BFH-Urteile vom 11.11.1993 - XI R 48/91, BFH/NV 1994, 622; vom 16.09.2015 - X R 43/12, BFHE 251, 37, BStBl II 2016, 48, Rz 19, und vom 07.11.2018 - X R 34/16, BFH/NV 2019, 686). Eine gewerbliche Betätigung ist daher verneint worden bei Rennwetten (Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 30.06.1927 - VI A 261/27, RFHE 21, 244; BFH-Urteil vom 24.10.1969 - IV R 139/68, BFHE 98, 494, BStBl II 1970, 411) oder bei Lotteriespielen (RFH-Urteil vom 14.03.1928 - VI A 783/27, RStBl 1928, 181; BFH-Urteil vom 16.09.1970 - I R 133/68, BFHE 100, 199, BStBl II 1970, 865). Derartige Spielgewinne sind vom Zufall abhängige Einnahmen, die zwar ohne Beteiligung am Spiel nicht zu erzielen sind, jedoch nicht ein Entgelt für die Spieltätigkeit darstellen.

d) Dagegen handelt es sich beim Poker nicht um ein reines Glücksspiel, vielmehr ist es als eine Mischung aus Glücksspiel und Geschicklichkeitsspiel einzustufen (BFH-Urteile in BFHE 251, 37, BStBl II 2016, 48, und in BFH/NV 2019, 686). Insofern kann eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr zu bejahen sein (vgl. Ebner, Neue Wirtschafts-Briefe 2016, 1584). Ein erfahrener Pokerspieler kann durch Taktik, Menschenkenntnis, Nervenstärke, Mimik u.Ä. die Gewinnchancen bei Pokerspielen erheblich steigern. Einnahmen aus Pokerspielen können damit zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führen. Dies gilt sowohl für Pokerturniere, bei denen die Gewinne der Erstplatzierten aus den vom Veranstalter ausgelobten Prämien resultieren, als auch für sog. Cash Games, bei denen der Pokergewinn eines Spielers unmittelbar auf den Verlusten der Mitspieler beruht. Ist die Tätigkeit eines Pokerspielers als gewerblich zu beurteilen, so macht es keinen Unterschied, ob er gewerbliche Einkünfte durch die Teilnahme an Pokerturnieren oder durch Pokerspiele in Spielcasinos erzielt.

e) Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger ist dem BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 686 nichts anderes zu entnehmen. In dem Fall, der diesem Urteil zugrunde lag, waren die Gewinne aus sog. Cash Games, die aus Poker und dem Glücksspiel "Black Jack" resultierten, zusammengefasst, obwohl die Gewinne aus "Black Jack" auszuscheiden gewesen wären; die Sache wurde (u.a.) aus diesem Grund zurückverwiesen. Im Streitfall hat das FA jedoch von vornherein nur das von den Klägern angegebene "Pokerergebnis" herangezogen.

2. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die tatsächlichen Umstände des Streitfalles dahingehend gewürdigt, dass die Betätigung des Klägers als Pokerspieler im Streitjahr 2007 die Grenze zur Gewerblichkeit überschritt. Das FG hat dies zunächst daraus abgeleitet, dass der Kläger vor dem Streitjahr bereits an neun Pokerturnieren sowie an zahlreichen weiteren Pokerspielen teilgenommen hatte und im Streitjahr damit über Turniererfahrung, Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte, die ihn nicht mehr nur von guten Karten und glücklichen Spielverläufen abhängig machten. Darüber hinaus hat es berücksichtigt, dass der Kläger Ende 2007/Anfang 2008 vom Veranstalter D vermarktet und durch "Gebührenvorteile" gefördert wurde. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das FG es als Indiz für ein Überschreiten der Grenze zur Gewerblichkeit gewertet hat, dass der Kläger das bisherige Arbeitsverhältnis, von dem er ohne Lohnbezug beurlaubt gewesen war, im Streitjahr endgültig löste und damit erkennbar machte, dass er seinen Lebensunterhalt künftig durch eine Tätigkeit als Spieler bestreiten wollte. Diese Würdigung der tatsächlichen Umstände durch das FG ist möglich und damit für das Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

3. Die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen (§ 118 Abs. 3 FGO) greifen nicht durch. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG-, § 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht vor. Das Urteil war für die Kläger keine Überraschungsentscheidung.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und - gegebenenfalls - Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl der vertretbaren Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Urteil in das Verfahren eingebracht wird (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 03.04.2019 - III B 80/18, BFH/NV 2019, 841, m.w.N.).

b) Die Kläger tragen vor, sie seien davon überrascht worden, dass das FG ihrem Einwand, der Kläger habe in den Jahren nach 2008 Verluste erzielt, dadurch begegnet sei, dass es die Richtigkeit der Behauptung als nicht belegt angesehen habe. Die Kläger waren jedoch nicht davon überrascht oder konnten jedenfalls nicht davon überrascht sein, dass das FG von der Richtigkeit ihrer unbewiesenen Behauptung nicht überzeugt sein würde. Das FG musste etwaige in den Jahren nach 2008 entstandene Spielverluste auch dann nicht als wahr unterstellen, wenn das FA dem entsprechenden Tatsachenvortrag der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht widersprochen haben sollte. Unabhängig hiervon hätten in späteren Jahren erzielte Spielverluste nicht zwingend einen Einfluss auf die Beurteilung der Frage, ob die Schwelle zur Gewerblichkeit im Streitjahr 2007 überschritten war.

c) Ebenso wenig konnten die Kläger davon überrascht sein, dass das FG dem Vortrag der Kläger, das Arbeitsverhältnis sei wegen des schlechten Gesundheitszustands der Klägerin und nicht wegen der Tätigkeit des Klägers als Pokerspieler beendet worden, nicht folgte. Wenn es der Wahrheit entspräche, dass die behauptete Erkrankung der Klägerin die vermehrte Anwesenheit des Klägers zur Pflege und Wartung seiner Ehefrau erforderlich machte, dann wäre damit die mit der Teilnahme an Pokerturnieren verbundene Abwesenheit des Klägers nur schwerlich zu vereinbaren gewesen. Diese naheliegende Überlegung hätte sich auch den Klägern aufdrängen müssen.

d) Weiterhin ist auch keine Überraschungsentscheidung darin zu sehen, dass das FG den Umstand, dass der Kläger - nach seiner Behauptung erst nach dem Streitjahr - in der Nähe von B wegen seiner Besuche im Spielcasino ein Zimmer anmietete, als Indiz für eine gewerbliche Tätigkeit wertete. Auch diese Überlegung des Gerichts war naheliegend. Dass das FG die Gewerblichkeit im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits für das Streitjahr bejahte, ändert hieran nichts. Darüber hinaus wird aus dem Vortrag der Kläger, das Zimmer sei nur aus Kostengründen angemietet worden, weil dies günstiger gewesen sei als die Übernachtung in Hotels, nicht ersichtlich, weshalb dies eine für die Kläger günstigere Beurteilung zur Folge hätte haben können.

e) Schließlich konnten die Kläger auch nicht davon überrascht sein, dass das FG annahm, es habe zwischen dem Kläger und dem Veranstalter D eine Vereinbarung existiert. Unstreitig hat der Veranstalter den Kläger vermarktet, unstreitig wurden dem Kläger "Gebührenvorteile" eingeräumt. Das FG konnte daraus die - wenig überraschende - Schlussfolgerung ziehen, dass hierzu eine entsprechende Abmachung existierte, die nicht notwendig schriftlich abgeschlossen zu sein brauchte.

4. Auch die Rüge der Kläger, das Gericht habe die Pflicht zur Sachaufklärung verletzt (§ 76 Abs. 1 FGO), führt nicht zum Erfolg. Insoweit sieht der Senat von einer Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).

5. Das angefochtene Urteil verletzt somit insoweit, als es die Einkommensteuerfestsetzung betrifft, kein Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Insoweit hat die Revision der Kläger keinen Erfolg.

6. Über die vom Kläger eingelegte Revision in Sachen Gewerbesteuer-Messbetrag 2007 kann der Senat nicht abschließend entscheiden, insoweit liegt keine Spruchreife vor. Der Kläger hat zwar im Streitjahr aufgrund seiner Tätigkeit als Pokerspieler ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG betrieben (§ 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--). Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass der Kläger einen im Inland betriebenen stehenden Gewerbebetrieb unterhalten hat, denn hierfür müsste eine Betriebsstätte im Inland vorgelegen haben (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Ob dies der Fall war, hat das FG nicht festgestellt. Entsprechende Feststellungen wären nötig gewesen, da eine Betriebsstätte bei einem gewerblich tätigen Pokerspieler nicht zwingend erforderlich ist. Das FG wird die notwendigen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

7. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Das FG hat mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch über die Kosten des durch dieses Urteil rechtskräftig abgeschlossenen Teils des Verfahrens zu entscheiden (Senatsurteil vom 13.06.2013 - III R 10/11, BFHE 241, 562, BStBl II 2014, 706; BFH-Urteil vom 06.06.2019 - IV R 11/19, IV R 27/14, BFH/NV 2019, 1243).

Dienstag, 1. Juni 2021

Finanzgericht Münster: Gewinne aus Online-Pokerspielen können der Einkommen- und Gewerbesteuer unterliegen

Pressemitteilung des Finanzgerichts Münster vom 1. Juni 2021

Gewinne aus Online-Pokerspielen können der Einkommen- und Gewerbesteuer unterliegen. Dies hat der 11. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 10. März 2021 (Az. 11 K 3030/15 E,G) entschieden.

Der Kläger war im Streitjahr 2009 zwanzig Jahre alt, ledig und wohnte im elterlichen Haushalt. Er absolvierte seit dem Wintersemester 2008/2009 ein Bachelor-Studium Mathematik mit dem Nebenfach Physik. Seit Herbst 2007 spielte der Kläger im Internet in sog. Einzelspielen Poker in der Spielvariante Texas Hold´em. Der Kläger nutzte zunächst Cent-Beträge als Einsätze. Er erzielte bis Ende 2008 einen Gesamtgewinn von ca. 1.000 US-Dollar. Die Spielzeiten, in denen er 2007 und 2008 Online-Poker spielte, betrugen geschätzt fünf bis zehn Stunden im Monat. Im Streitjahr 2009 spielte der Kläger bei vier Online-Portalen Poker. Seine Einsätze erhöhte er dabei über einstellige zu einem niedrigen zweistelligen US-Dollar-Betrag. Er spielte im Jahr 2009 insgesamt geschätzte 446 Stunden. Der Kläger nutzte während seiner Spielzeiten eine von den Online-Portalen unabhängige Software, die ihm 2008 kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Im Streitjahr 2009 erzielte der Kläger aus den Spielen auf den einzelnen Online-Portalen insgesamt Gewinne in Höhe von – umgerechnet – 82.826,05 EUR. In den Folgejahren vervielfachte der Kläger seine Gewinne aus den Online-Pokerspielen. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass der Kläger aufgrund der Teilnahme an den Online-Pokerspielen steuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt habe und erließ für das Streitjahr 2009 einen entsprechenden Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheid. Das hiergegen vom Kläger geführte Einspruchsverfahren blieb erfolglos.

Der hiergegen erhobenen Klage hat der 11. Senat des Finanzgerichts Münster teilweise stattgegeben. Der Kläger habe, so der 11. Senat, mit dem Online-Pokerspielen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, dies jedoch erst ab Oktober 2009. Insbesondere handele es sich bei der von dem Kläger gespielten Variante Texas Hold´em um ein Geschicklichkeitsspiel und nicht um ein gewerbliche Einkünfte ausschließendes Glücksspiel. Auch nach wissenschaftlich-mathematischen Untersuchungen bzw. praktischen Tests sei diese Variante schon bei einem Durchschnittsspieler als Spiel einzuordnen, bei dem nicht das Zufallsmoment, sondern das Geschicklichkeitsmoment überwiege. Der Kläger habe sich auch, wie für die Annahme gewerblicher Einkünfte erforderlich, am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt, indem er eine Leistungsbeziehung mit seinen Mitspielern am (virtuellen) Pokertisch eines Online-Portals unterhalten und nach außen hin für Dritte erkennbar in Erscheinung getreten sei. Der Kläger habe auch mit Gewinnerzielungsabsicht gehandelt, denn er habe über eine gewisse Dauer hinweg das Online-Pokerspielen ausgeführt, dadurch Gewinne erzielt und mit einer durchweg vorteilhaften Gewinnerzielung fortgeführt. Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse, insbesondere der Steigerung der Spielzeit und der Höhe der Einsätze, habe der Kläger allerdings erst ab Oktober 2009 die Grenze einer reinen Hobbyausübung hin zu einem „berufsmäßigen“ Online-Pokerspiel überschritten, weshalb als Einkünfte aus Gewerbebetrieb die in dem Zeitraum Oktober 2009 bis Dezember 2009 erzielten Gewinne anzusetzen seien.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Diese ist dort unter dem Aktenzeichen X R 8/21 anhängig.

Freitag, 27. Oktober 2017

Bundesfinanzhof zur Unternehmereigenschaft eines "Berufspokerspielers"

BFH, Urteil vom 30. August 2017, Az. XI R 37/14

Leitsätze:

1. Ein "Berufspokerspieler" erbringt keine Leistung im Rahmen eines Leistungsaustausches gegen Entgelt, wenn er an Spielen fremder Veranstalter teilnimmt und ausschließlich im Falle der erfolgreichen Teilnahme Preisgelder oder Spielgewinne erhält. Zwischen der (bloßen) Teilnahme am Pokerspiel und dem im Erfolgsfall erhaltenen Preisgeld oder Gewinn fehlt der für einen Leistungsaustausch erforderliche unmittelbare Zusammenhang.

2. Die Teilnahme an einem Pokerspiel ist jedoch eine im Rahmen eines Leistungsaustausches gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung, wenn der Veranstalter für sie eine von der Platzierung unabhängige Vergütung zahlt. In einem solchen Fall ist die vom Veranstalter geleistete Zahlung die tatsächliche Gegenleistung für die vom Spieler erbrachte Dienstleistung, an dem Pokerspiel teilzunehmen.

FG Münster: Turnierpokerspieler erzielt gewerbliche Einkünfte

Finanzgericht Münster, Pressemitteilung Nr. 13 vom 2. November 2016

Mit heute veröffentlichtem Urteil vom 18.07.2016 (Az. 14 K 1370/12 E,G) hat der 14. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass Gewinne aus der Teilnahme an Pokerturnieren und sog. Cash Games zu gewerblichen Einkünften führen können.

Der Kläger pokerte in den Streitjahren 2005 bis 2007 auf insgesamt 91 Pokerturnieren in verschiedenen europäischen Ländern. Daneben nahm er auch an Cash Games in Spielbanken teil. Hierbei handelt es sich um Pokerrunden, in die die Teilnehmer jederzeit einsteigen und die sie (gegen Auszahlung etwaiger Gewinne) auch jederzeit wieder verlassen können. Aufgrund seiner großen Erfolge wurde in der Presse und im Internet über den Kläger berichtet. Das beklagte Finanzamt behandelte die Pokergewinne als gewerbliche Einkünfte und unterwarf sie der Einkommen- und Gewerbesteuer. Der Kläger vertrat demgegenüber die Ansicht, dass die Gewinne nicht steuerbar seien, weil es sich um Glücksspiele handele.

Der 14. Senat des Finanzgerichts Münster wies die Klage ab. Mit der Teilnahme an den Pokerturnieren und den Cash Games habe der Kläger sämtliche Merkmale eines Gewerbebetriebs erfüllt. Insbesondere stellten die vom Kläger besuchten Turniere keine Glücksspiele dar, weil aufgrund wissenschaftlich-mathematischer Untersuchungen feststehe, dass bei einem Pokerturnier nicht das Zufallsmoment, sondern das Geschicklichkeitsmoment und die Spielerfahrung ausschlaggebend seien. Dies gelte jedenfalls für solche Spieler, deren Fähigkeiten über diejenigen eines Durchschnittsspielers hinausgingen. Der Kläger habe auch die Grenze zur privaten Vermögensverwaltung überschritten, da er - anders als ein Hobbyspieler - nicht lediglich seine privaten Spielbedürfnisse befriedigt habe.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage hat der Senat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. 

BFH: Gewinne aus der Teilnahme an Pokerturnieren können der Einkommensteuer unterliegen

Bundesfinanzhof, Pressemitteilung Nr. 63 vom 17. September 2015

Der X. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit einem am 16. September 2015 verkündeten Urteil im Verfahren X R 43/12 entschieden, dass Gewinne aus der Teilnahme an Pokerturnieren als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterliegen können.

Der Kläger des zugrundeliegenden Verfahrens hatte nach den Feststellungen der Vorinstanz über Jahre hinweg hohe Preisgelder aus der Teilnahme an Pokerturnieren (u.a. in den Varianten „Texas Hold´em“ und „Omaha Limit“) erzielt. Das Finanzamt hat diese der Einkommensteuer unterworfen. Das Finanzgericht Köln als Vorinstanz hat durch Zwischenurteil entschieden, dass die Einkünfte des Klägers aus Turnierpokerspielen einkommensteuerbar sind. Über die Höhe des vom Kläger erzielten Gewinns ist noch nicht entschieden.

Dieses Zwischenurteil hat der X. Senat des BFH nunmehr bestätigt. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen zwar noch nicht vor. In der mündlichen Urteilsbegründung hat die Vorsitzende des X. Senats aber erläutert, dass das Einkommensteuergesetz (EStG) die Besteuerung weder in positiver noch in negativer Hinsicht an den Tatbestand des „Glücksspiels“ knüpft. Soweit dieser Begriff in Vorschriften des Straf- oder Verwaltungsrechts ausdrücklich genannt ist, ist dies für die Beurteilung der Frage, ob in steuerlicher Hinsicht Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden, nicht maßgeblich.

Zwar hat die ältere finanzgerichtliche Rechtsprechung eine „Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“ - eines der Merkmale des in § 15 Abs. 2 EStG definierten einkommensteuerlichen Begriffs des Gewerbebetriebs - verneint, wenn eine Tätigkeit sich als „reines Glücksspiel“ darstellte (z.B. Lottospiel). Im vorliegenden Verfahren hat die Vorinstanz aber durch Auswertung zahlreicher Quellen festgestellt, dass die vom Kläger gespielten Pokervarianten nicht als reines Glücksspiel anzusehen seien, sondern schon bei einem durchschnittlichen Spieler das Geschicklichkeitselement nur wenig hinter dem Zufallselement zurücktrete. Diese Würdigung bindet den BFH als Revisionsgericht.

Dies bedeutet nicht, dass jeder Turnierpokerspieler mit dieser Tätigkeit einkommensteuerlich zum Gewerbetreibenden wird. Vielmehr ist - wie bei jedem anderen Streitfall auch - stets zwischen einem „am Markt orientierten“ einkommensteuerbaren Verhalten und einer nicht steuerbaren Betätigung abzugrenzen. Diese Abgrenzung findet aber vorrangig nicht bei einem - im EStG ohnehin nicht erwähnten - Merkmal des „Glücksspiels“ statt, sondern bei den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen der Nachhaltigkeit und der Gewinnerzielungsabsicht, ggf. auch bei der erforderlichen Abgrenzung zu einer privaten Vermögensverwaltung. Diese weiteren Merkmale des einkommensteuerlichen Gewerbebegriffs waren im Fall des Klägers nach den Feststellungen der Vorinstanz aber ebenfalls erfüllt.

Nicht zu entscheiden war in diesem Verfahren, ob auch Gewinne aus dem Pokerspiel in Spielcasinos (sog. Cash-Games) oder aus Pokerspielen im Internet (Online-Poker) einkommensteuerpflichtig sein können.

Urteil vom 16.09.2015, X R 43/12

Bundesfinanzhof: Keine Umsatzsteuer auf Pokergewinne

Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs

Der XI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Urteil vom 30. August 2017 XI R 37/14 entschieden, dass Preisgelder oder Spielgewinne, die ein Berufspokerspieler (nur) bei erfolgreicher Teilnahme an Spielen fremder Veranstalter erhält, kein Entgelte für eine umsatzsteuerpflichtige Leistung des Pokerspielers (an den Veranstalter oder die Mitspieler) sind und der Pokerspieler deshalb von seinen Spielgewinnen keine Umsatzsteuer abführen muss.

Der Kläger nahm in den Streitjahren (2006 und 2007) erfolgreich an Pokerturnieren sowie an sog. Cash-Games und an Internet-Pokerveranstaltungen teil. Umsatzsteuererklärungen reichte er nicht ein, weil er der Auffassung war, dass Poker spielen keine umsatzsteuerbare Leistung sei.

Das Finanzamt und das Finanzgericht vertraten dagegen die Auffassung, dass der Kläger als Berufspokerspieler Unternehmer sei und in der Absicht, Einnahmen zu erzielen, nach den jeweils vorgegebenen Spielregeln bei diesen Veranstaltungen unter Übernahme eines Wagnisses – Verlust seines Geldeinsatzes – gegen andere Teilnehmer Poker gespielt habe. Dies sei als umsatzsteuerbare Tätigkeit gegen Entgelt anzusehen.

Dieser Auffassung folgte der BFH nicht und gab der Klage statt. Zwischen der Teilnahme an Pokerturnieren, Cash-Games und Internet-Pokerveranstaltungen und den erhaltenen Zahlungen (Preisgeldern und Spielgewinnen) bestehe nicht der für eine Leistung gegen Entgelt erforderliche unmittelbare Zusammenhang. Das Preisgeld oder der Spielgewinn werde nicht für die Teilnahme am Turnier, sondern für die Erzielung eines bestimmten Wettbewerbsergebnisses gezahlt.

Klargestellt hat der BFH dabei allerdings, dass die Teilnahme an einem Pokerspiel eine der Umsatzsteuer unterliegende Dienstleistung gegen Entgelt ist, wenn der Veranstalter an den Pokerspieler hierfür eine von der Platzierung unabhängige Vergütung zahlt (z.B. Antrittsgeld). In einem solchen Fall ist die vom Veranstalter geleistete Zahlung die tatsächliche Gegenleistung für die vom Spieler erbrachte Dienstleistung, an dem Pokerspiel teilzunehmen.

Ebenfalls der Umsatzsteuer unterliegt die Leistung der Veranstalter von Pokerspielen, die Spieler gegen Entgelt (z.B. Turniergebühr) zum Spiel zulassen.

Gewinne aus der Teilnahme an Pokerspielen können außerdem als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterliegen (vgl. Pressemitteilung des BFH Nr. 63/15 vom 17. September 2015). 

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Vorschlag der hessischen Landesregierung: Zulassung von Online-Poker und Casinospielen?

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Das Land Hessen will eine grundlegende Änderung des in der Praxis gescheiterten Glücksspielstaatsvertrags 2012 erreichen. Ein nunmehr verabschiedete Beschluss der schwarz-grünen Landesregierung in Wiesbaden soll nun den anderen Bundesländern vorgestellt werden. Demnach sollen u.a. Pokerspiele im Internet erlaubt werden. 

Hessen, das im Rahmen des derzeitig noch geltenden Glücksspielstaatsvertrags auch im Namen der anderen Bundesländern Konzessionen an Sportwettenanbieter im Rahmen des Glücksspielstaatsvertrags vergeben soll, will u.a. die rechtlich problematische Begrenzung auf 20 Lizenzen aufheben. Diese hatte – neben Verfahrensfehlern – trotz mehr als dreijähriger Verfahrensdauer die Vergabe der Lizenzen bislang verhindert. Jeder Anbieter, der die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle, solle nunmehr eine Erlaubnis erhalten. Die derzeitige Einschränkung auf 20 Konzessionen werde dem Markt nicht gerecht. Einen entsprechenden Vorschlag einer qualitativen Konzessionierung hatte der hessische Innenminister Peter Beuth bereits vor einigen Monaten in einem in der FAZ erschienen Gastbeitrag lanciert (FAZ vom 15. Juni 2015). Beuth verwies nunmehr erneut darauf, dass die Begrenzung dem aktuellen Markt nicht gerecht werde. Europarechtlich sei die Einschränkung auf 20 Konzessionen nicht haltbar.

Auch für die nach der derzeitigen Regelung unzulässigen Casino- und Pokerspiele im Internet sollen zukünftig erlaubt werden. Mit dieser Neuregelung solle der "größte Schwarzmarkt in Deutschland" bekämpft werden. Der eigentlich beabsichtigte Schutz der Jugendlichen in einem unregulierten Markt sei nicht möglich. Außerdem entgingen dem Staat Einnahmen in Höhe von vielen Millionen Euro.

Hessen übernimmt damit im Wesentlichen die 2012 bis Anfang 2013 geltende Regelung in Schleswig-Holstein, das Lizenzen auch für Online-Poker- und Casinospielanbieter und ohne zahlenmäßige Begrenzung auch an Sportwettenanbieter ausgereicht hatte. Der Vorschlag Hessens wurde daher auch umgehend von den damaligen Initiatoren des schleswig-holsteinischen Glücksspielgesetzes, dem Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Hans-Jörn Arp, und dem FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki begrüßt. Sie forderten in einer Pressemitteilung auf, Hessen in seinem Kurs zu unterstützen.

Mittwoch, 23. September 2015

BFH: Gewinne aus Pokerturnieren können Einkommensteuer unterliegen

Pressemitteilung des BFH vom 17. September 2015

Der X. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit einem am 16. September 2015 verkündeten Urteil im Verfahren X R 43/12 entschieden, dass Gewinne aus der Teilnahme an Pokerturnieren als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterliegen können.

Der Kläger des zugrundeliegenden Verfahrens hatte nach den Feststellungen der Vorinstanz über Jahre hinweg hohe Preisgelder aus der Teilnahme an Pokerturnieren (u.a. in den Varianten „Texas Hold´em“ und „Omaha Limit“) erzielt. Das Finanzamt hat diese der Einkommensteuer unterworfen. Das Finanzgericht Köln als Vorinstanz hat durch Zwischenurteil entschieden, dass die Einkünfte des Klägers aus Turnierpokerspielen einkommensteuerbar sind. Über die Höhe des vom Kläger erzielten Gewinns ist noch nicht entschieden.

Dieses Zwischenurteil hat der X. Senat des BFH nunmehr bestätigt. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen zwar noch nicht vor. In der mündlichen Urteilsbegründung hat die Vorsitzende des X. Senats aber erläutert, dass das Einkommensteuergesetz (EStG) die Besteuerung weder in positiver noch in negativer Hinsicht an den Tatbestand des „Glücksspiels“ knüpft. Soweit dieser Begriff in Vorschriften des Straf- oder Verwaltungsrechts ausdrücklich genannt ist, ist dies für die Beurteilung der Frage, ob in steuerlicher Hinsicht Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden, nicht maßgeblich.

Zwar hat die ältere finanzgerichtliche Rechtsprechung eine „Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“ --eines der Merkmale des in § 15 Abs. 2 EStG definierten einkommensteuerlichen Begriffs des Gewerbebetriebs-- verneint, wenn eine Tätigkeit sich als „reines Glücksspiel“ darstellte (z.B. Lottospiel).

Im vorliegenden Verfahren hat die Vorinstanz aber durch Auswertung zahlreicher Quellen festgestellt, dass die vom Kläger gespielten Pokervarianten nicht als reines Glücksspiel anzusehen seien, sondern schon bei einem durchschnittlichen Spieler das Geschicklichkeitselement nur wenig hinter dem Zufallselement zurücktrete. Diese Würdigung bindet den BFH als Revisionsgericht.

Dies bedeutet nicht, dass jeder Turnierpokerspieler mit dieser Tätigkeit einkommensteuerlich zum Gewerbetreibenden wird. Vielmehr ist – wie bei jedem anderen Streitfall auch – stets zwischen einem „am Markt orientierten“ einkommensteuerbaren Verhalten und einer nicht steuerbaren Betätigung abzugrenzen.

Diese Abgrenzung findet aber vorrangig nicht bei einem - im EStG ohnehin nicht erwähnten - Merkmal des „Glücksspiels“ statt, sondern bei den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen der Nachhaltigkeit und der Gewinnerzielungsabsicht, ggf. auch bei der erforderlichen Abgrenzung zu einer privaten Vermögensverwaltung. Diese weiteren Merkmale des einkommensteuerlichen Gewerbebegriffs waren im Fall des Klägers nach den Feststellungen der Vorinstanz aber ebenfalls erfüllt.

Nicht zu entscheiden war in diesem Verfahren, ob auch Gewinne aus dem Pokerspiel in Spielcasinos (sog. Cash-Games) oder aus Pokerspielen im Internet (Online-Poker) einkommensteuerpflichtig sein können.

Urteil vom 16.09.15 - X R 43/12

Donnerstag, 16. Juli 2015

Verwaltungsgericht Karlsruhe beurteilt Poker als Glücksspiel

VG Karlsruhe, Urteil vom 12. Februar 2015, Az. 3 K 3872/13

Leitsatz:

Bei den Varianten "Texas Hold'em" und "Omaha Holdem" handelt es sich um Glücksspiel i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV. Die Gewinnentscheidung hängt auch dann, wenn es nicht zu einem "Showdown" und damit nicht zu einer Gewinnentscheidung anhand der zufällig erhaltenen Karten kommt, von dem ungewissen Verhalten der Mitspieler und damit ebenfalls vom Zufall ab.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klägerin kann die begehrte Feststellung, dass sie berechtigt ist, auf der Internetseite ... Pokerspiele der Varianten „Texas Hold’em“ (mit allen Limit-Varianten) und „Omaha Hold’em Pot Limit“ in Baden-Württemberg zu veranstalten, nicht beanspruchen.

Nach § 3 Abs. 1 des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15.12.2011 in der Fassung des Ersten Glückspieländerungsstaatsvertrages (GlüStV) liegt ein Glückspiel vor, wenn im Rahmen eines Spieles für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt (Satz 1). Die Entscheidung über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist (Satz 2).

1. Es ist unter den Beteiligten unstreitig, dass es sich bei den in Rede stehenden Pokervarianten um ein „Spiel“ i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV handelt. Der GlüStV definiert diesen Begriff nicht, jedoch kann insoweit auf die zivilrechtliche Begriffsbestimmung des § 762 BGB zurückgegriffen werden (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.05.2013 - 6 S 88/13 -, juris Rdnr. 21). Für das Spiel ist in objektiver Hinsicht charakteristisch, dass jeder Spieler ein Vermögensrisiko in der Hoffnung eingeht, auf Kosten des jeweils anderen Spielers einen Gewinn zu erzielen. Die am Spiel Beteiligten sagen sich für den Spielgewinn gegenseitig eine Leistung - meist Geld (den sog. Einsatz) - zu. Nach den zuvor festgesetzten Regeln erhält der Gewinner eine seinem Einsatz entsprechende oder höhere Leistung, der Verlierer muss seinen Einsatz dem Gewinner überlassen. In subjektiver Hinsicht ist es Zweck des Spiels, sich unter Eingehung eines Wagnisses zu unterhalten oder zu gewinnen. Die Spieler wollen einen Gewinn zulasten des anderen erzielen und handeln infolgedessen in der erforderlichen Spielabsicht; einen ernsten sittlichen und/oder wirtschaftlichen Zweck verfolgen sie mit dem Spiel nicht (VGH Bad.-Württ., a.a.O. m.w.N.). Es unterliegt hier keinem Zweifel, dass die genannten objektiven und subjektiven Voraussetzungen bei den von der Klägerin als Internetangebot vorgesehenen Pokervarianten „Texas Hold’em“ und „Omaha Hold’em“ vorliegen. Es ist nach dem vorliegenden Konzept insbesondere davon auszugehen, dass die weit überwiegende Anzahl der Spieler mit ihrer Teilnahme in Spielabsicht handelt, mithin keinen wirtschaftlichen Zweck - etwa der Lebensunterhaltssicherung - verfolgt.

2. Im Rahmen des Spiels wird „für den Erwerb einer Gewinnchance“ auch „ein Entgelt verlangt“. Das Tatbestandsmerkmal des Entgelts für eine Gewinnchance deckt sich mit dem des Einsatzes für ein Glücksspiel i.S.v. § 284 StGB insoweit, als verlangt wird, dass die Gewinnchance gerade aus dem Entgelt erwächst. Unter den „Einsatz“ fällt jede Leistung, die erbracht wird in der Hoffnung, im Falle des „Gewinnens“ eine gleiche oder höherwertige Leistung zu erhalten und in der Befürchtung, dass sie im Falle des „Verlierens“ dem Gegenspieler oder dem Veranstalter anheimfällt (BVerwG, Urt. v. 22.01.2014 - 8 C 26.12 -, juris Rdnr. 12 m.w.N). Entgelt in diesem Sinne ist der von den Pokerspielern regelgerecht im Rahmen jeder Runde zu erbringende (Geld-)Einsatz.

3. Bei den Pokervarianten „Texas Hold’em“ (mit allen Limitvarianten) und „Omaha Hold’em Pot Limit“ hängt die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall ab, weshalb es sich um ein Glücksspiel i.S.v. § 3 Abs. 1 GlüStV handelt und nicht um ein Geschicklichkeitsspiel.

a) Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Entscheidung über den Gewinn nach § 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV bereits dann „in jedem Fall vom Zufall anhängt, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist“. Zum einen kann diese Bestimmung schon von ihrem Wortlaut her nicht dahin verstanden werden, dass damit bei ungewissem Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse automatisch auch eine „ganze oder überwiegende“ Zufallsabhängigkeit i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV fingiert werden soll (so aber wohl OLG Köln, Urt. v. 12.05.2010 - 6 U 142/09 -, juris Rdnr. 38, im Revisionsverfahren von BGH, Urt. v. 28.09.2011 - I ZR 93/10 - juris Rdnr. 80 unbeanstandet gelassen). Zum anderen steht die Vorschrift in systematischem Zusammenhang zu § 3 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 GlüStV, wonach Wetten gegen Entgelt auf den Eintritt oder Ausgang eines zukünftigen Ereignisses Glücksspiele und Sportwetten Wetten zu festen Quoten auf den Ausgang von Sportereignissen oder Abschnitten von Sportereignissen sind. Die bereits seit dem Lotteriestaatsvertrag 2004 bestehende Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV hatte insbesondere vor der Einführung des § 3 Abs. 1 Satz 3 GlüStV (durch den GlüStV a.F. vom 14.12.2006) den Zweck klarzustellen, dass Sportwetten, bei denen auf den Ausgang zukünftiger Ereignisse getippt wird, als Glücksspiel zu verstehen sind (Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, § 3 GlüStV, Rdnr. 14).

b) Bei der Frage, ob die Gewinnentscheidung ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt, sind die Spielverhältnisse zugrunde zu legen, unter denen das Spiel eröffnet ist und gewöhnlich betrieben wird. Denn das von der Klägerin vorgesehene Spielangebot richtet sich nicht an bestimmte Personen, sondern an eine unbestimmte Anzahl von Interessenten unterschiedlichen Kenntnisstandes. Maßgeblich für die Prüfung der Zufallsabhängigkeit ist daher weder der professionell geübte Spieler noch der geübte Amateur, der sich gegebenenfalls auch Lehrbuchwissen angeeignet haben mag (BGH, Urt. v. 28.09.2011 - I ZR 93/10 -, juris Rdnr. 80) noch der Befähigungsdurchschnitt einer spielerfahrenen Anhängerschaft (BVerwG, Urt. v. 09.10.1984 - 1 C 20.82 -, juris Rdnr. 14), sondern die Geschicklichkeit und die Fähigkeit eines durchschnittlichen Spielers aus der spielinteressierten Bevölkerung im Sinne eines mittleren Maßstabs. Es kommt darauf an, ob die zufallsüberwindende Beeinflussung der Gewinnentscheidung einem spielinteressierten Menschen mit durchschnittlichem Standard in so kurzer Zeit möglich wird, dass sich die Herrschaft des Zufalls allenfalls auf eine Einspielzeit beschränkt, deren Länge sich nach der erfahrungsgemäßen durchschnittlichen Dauer der Spielteilnahme bestimmt (BVerwG, Urt. v. 09.10.1984 - 1 C 20.82 -, juris Rdnr. 14; Urt. v. 24.10.2001 - 6 C 1/01 -, juris Rdnr. 28f; Urt. v. 22.01.2014 - 8 C 26.12 -, juris Rdnr. 16). Bei reinen Glücksspielen ist das Spielergebnis durch Überlegung oder Geschick des Spielers nicht beeinflussbar. Er setzt allein auf den Zufall. Kann das Spielergebnis durch den Spieler hingegen beeinflusst werden - wovon bei den hier in Rede stehenden Pokervarianten allgemein ausgegangen wird und was auch der Beklagte nicht in Abrede stellt - , so ist zu prüfen, ob nach den Spielbedingungen trotz dieser Beeinflussbarkeit die nicht zu beeinflussenden Spielelemente den Ausgang des Spieles überwiegend bestimmen (zu diesen Maßstäben BVerwG, Urt. v. 24.10.2001 - 6 C 1/01 -, juris Rdnr. 29).

aa) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf den relativen Erfolg eines Durchschnittsspielers - der unter Einsatz seiner Geschicklichkeit versucht, ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen - im Vergleich mit dem „Zufallsspieler“ an, der alleine auf den Zufall setzt. Denn ein Glücksspiel setzt nach den gesetzlichen Vorgaben des § 3 Abs. 1 GlüStV nicht voraus, dass die Gewinnentscheidung - wie es bei reinen Zufallsspielern der Fall wäre - ausschließlich zufallsabhängig ist. Es genügt, dass der Anteil des Zufalls bei der Gewinnentscheidung überwiegt. Daher führt der Vergleich mit „reinen Zufallsspielern“, welcher auch der von der Klägerin vorgelegten Pokerstudie zugrunde liegt (Rechtsanwälte ..., TÜV Rheinland Secure iT GmbH, Prof. Dr. ..., Leiter des Instituts für Stochastik an der Universität Karlsruhe, Dipl. Math. ...: „Texas Hold’em: strafloses Geschicklichkeitsspiel oder strafbares Glücksspiel ?“, S. 102, 103, 104, 113, 153) nicht weiter. Maßgeblich ist vielmehr das Maß der Zufallsabhängigkeit der von den Durchschnittsspielern tatsächlich gewonnenen Spiele.

Aus diesem Grund kommt der mit Beweisanträgen Nr. 4 und 5 unter Beweis gestellten „Attraktivität von Fernsehübertragungen von Pokerwettkämpfen und anderen traditionell legal veranstalteten Geschicklichkeitsspielen für Fernsehzuschauer“ hier keine entscheidende Bedeutung zu. Diese Beweistatsache ist vielmehr - auch soweit mit ihr lediglich Indizien beschafft werden sollen - unerheblich. Das gleiche gilt für Beweisanträge Nrn. 13 und 19, mit denen festgestellt werden soll, dass bei „Hold’em Poker“ wesentlich höhere Strategieanteile bestünden als bei Skat und bei Skat die Bedeutung der Kartenverteilung für die Gewinnentscheidung sehr viel höher sei als bei Hold’em Poker. Der vergleichende Blick auf Skat ist hier nicht relevant. Unerheblich ist nach dem Ausgeführten ferner, ob sich „kenntnisreiche Durchschnittsspieler“ - wie mit Beweisanträgen Nrn. 11 und 12 unter Beweis gestellt -, in statistisch relevanter Weise gegen „reine Zufallsspieler“ durchsetzen.

bb) Die genannte Pokerstudie, welche zu dem Ergebnis kommt, dass „die nach den höchstrichterlichen Vorgaben ausgebildeten Durchschnittsspieler bei der durchgeführten Anzahl von Versuchen gegen Zufallsspieler gewinnen“ überzeugt auch deshalb nicht, weil dort als Versuchsparameter eine durchgehende Spielzeit von 6 Stunden bzw. ca. 600 Händen zugrunde gelegt wurde (S. 24/25, 71, 75), d.h. es wurde so lange gespielt, bis die genannten Parameter erreicht wurden. Abzustellen ist aber auf die Spielverhältnisse, unter denen das Spiel gewöhnlich betrieben wird (s.o.). Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, dass die von ihr zur Veranstaltung beabsichtigten Pokervarianten gewöhnlich durchgängig sechs Stunden bzw. „mindestens ca. 600 Hände lang“ gespielt werden. Eine solche Spielzeit dürfte nach allgemeiner Lebenserfahrung bei Zugrundelegung üblicher Lebensgewohnheiten (Arbeitszeiten etc.) von vorneherein nicht den durchschnittlichen Verhältnissen entsprechen (so zu Recht VG Düsseldorf, Urt. v. 21.06.2011 - 27 K 6586/08 -, juris Rdnr. 90-92).

cc) Soweit die Klägerin zur Untermauerung ihrer Behauptung, bei den in Rede stehenden Pokervarianten hänge die Gewinnentscheidung überwiegend vom Geschick der Spieler ab, auf die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10.04.1979 (- II OE 41/77 -, juris [nur Ls.]) verweist, führt dies hier nicht weiter. Denn diese Entscheidung betraf die Pokervariante „Search Poker“, welche sich von den hier streitgegenständlichen Pokervarianten darin unterscheidet, dass dort „das verdeckte Verteilen des Handblattes durch eine eigenständige Regelung der Kartenentnahme aus einer vorher eingesehenen Kartenauslegung ersetzt worden ist“ (Urteilsabschrift S. 16). Gerade in dem Umstand, dass der Spieler aufgrund der offenen Kartenauslegung in der Lage ist, sich die für seine Spielgestaltung wichtigen Karten zu merken, lag für den Hessischen Verwaltungsgerichtshof der entscheidende Grund für die Annahme, der Spieler könne das Spiel im Sinne eines Geschicklichkeitsspiels planvoll steuern (Urteilsabschrift S. 14,15,16). Die hierzu angestellten Überlegungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs sind auf die hier zu entscheidende Fallvariante nicht übertragbar. Wegen der völlig anderen Ausgangslage bei „Search Poker“ musste das Gericht dem auf eine vergleichende Betrachtung zu Search Poker gerichteten Beweisantrag Nr. 14 nicht nachgehen.

Unergiebig sind auch die Ausführungen des Finanzgerichts Köln in dem Zwischenurteil vom 31.10.2012 (- 12 K 1136/11 -, juris). Das Finanzgericht ist zwar - u.a. auch in Bezug auf Texas Hold’em - zu dem Ergebnis gekommen, dass im Streitfall „die Erzielung der Preisgelder“ unter Berücksichtigung der „individuellen Gegebenheiten“ des dortigen Klägers - eines erfahrenen, seit fast 20 Jahren regelmäßig spielenden Pokerspielers - wesentlich und überwiegend von dessen Fähigkeiten und weniger vom Zufall abhängig gewesen sei, weshalb es sich um Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb handele. Das Finanzgericht hat bei seiner Würdigung aber ausdrücklich auf die - von ihm im Einzelnen näher dargelegten - besonderen Fähigkeiten dieses Klägers und ausdrücklich nicht auf die hier maßgebliche Perspektive eines Durchschnittsspielers abgestellt (a.a.O. Rdnr. 55f und 58f).

dd) Aus demselben Grund kommt es im vorliegenden Zusammenhang auf den Vortrag der Klägerin, es gebe Pokerspieler, welche mit dem Pokerspiel ihren Lebensunterhalt verdienen können, nicht an. Denn bei diesen Personen handelt es sich nicht um durchschnittliche Pokerspieler aus der spielinteressierten Bevölkerung im Sinne des o.g. mittleren Maßstabs, sondern um Profispieler. Da auch die Teilnehmer der inoffiziellen Pokerweltmeisterschaft (World Series of Poker, WSOP), die in der „Liste bekannter Pokerspieler“ (GA Bl. 403) genannten Personen und der von den Beteiligten erwähnte Pokerspieler ... Profispieler sind, kann aus deren Siegchancen, Preisgeldern und Turniergewinnen kein überzeugendes Argument für die entscheidungserhebliche Frage gewonnen werden, ob die Gewinnentscheidung bei einem Durchschnittsspieler überwiegend zufallsabhängig ist oder nicht.

Aus diesem Grund musste das Gericht den Beweisanträgen Nrn. 1, 2, 3, 8, 11 und 12 keine Folge geben. Ob Berufsspieler mit Poker ihren Lebensunterhalt bestreiten können oder ob eine stabile Weltrangliste der besten Pokerspieler geführt wird, ist für die hier zu entscheidende Frage ebenso wenig relevant wie der Umstand, ob sich „kenntnisreiche“ - und damit nicht den o.g. Durchschnittsmaßstab bildende Spieler - gegenüber Anfängern durchsetzen.

ee) Soweit die Klägerin die überwiegende Zufallsabhängigkeit der hier in Rede stehenden Pokervarianten mit den Überlegungen der Entscheidung des Bezirksgerichts („Rechtbank“) Amsterdam vom 23.01.2014 zu begründen versucht, führt dies nicht weiter. Dieses Gericht hat bei seiner Entscheidung - Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf des Verstoßes gegen das niederländische Glücksspielgesetz - maßgeblich darauf abgestellt, „ob die überwiegende Mehrheit der Spieler auf das Spiel so viel Einfluss nehmen könnte, dass infolgedessen der durch das Vorhandensein des Zufallsgenerators bestimmte Zufall in bedeutendem Ausmaß durch die Berechnung der Wahrscheinlichkeit oder auf andere Weise eliminiert“ werde. Das ist ersichtlich nicht der Maßstab, ob im Falle eines Durchschnittsspielers die nicht zu beeinflussenden Spielelemente den Ausgang des Spieles bestimmen oder nicht.

Soweit die Klägerin in Zusammenhang mit der niederländischen Rechtsprechung auf das mathematische Gutachten von ... verweist, wonach bei Poker der Spielvariante „Texas Hold’em“ der Geschicklichkeitsfaktor („Skill-Faktor“) immer größer als 0,3 sei und es sich bei einem Skill-Faktor von 0,3 oder größer immer um ein Geschicklichkeitsspiel handele (vgl. Anlage Nr. 2 zum Kläger-Schriftsatz vom 28.05.2014), ist diese Bewertung schon für sich genommen nicht nachvollziehbar. Auch die von den Klägern selbst vorgelegte Pokerstudie geht (auf S. 147f) davon aus, dass die von ... erstellte Rangliste (beginnend mit reinen Glücksspielen und endend bei reinen Geschicklichkeitsspielen) nicht geeignet ist, die nach deutschem Recht erforderliche Grenze zwischen Glücksspiel und Geschicklichkeitsspiel zu ziehen.

ff) Gleiches gilt in Bezug auf das Gutachten, welches ... für den United States District Court Eastern District of New York gefertigt hat. Dieser Gutachter stützt sich maßgeblich auf eine Analyse von 415 Mio. Spielrunden auf der Online-Poker Site von Poker Stars (S. 3 und 9ff) und berücksichtigt hierbei maßgeblich den Erfahrungsschatz der dort tätigen - erfahrenen - Spieler inclusive der „Spitzenspieler“ (S. 10,17). Dies gilt insbesondere, soweit der Geschicklichkeitscharakter des Pokerspiels (auch) daraus abgeleitet wird, dass „ein geschickter Spieler mit einem bestimmten Spiel zuverlässig seinen Lebensunterhalt bestreiten kann“ (S. 3).

gg) Nach Auffassung der Kammer kommt den unter aa) bis ff) erwähnten Stellungnahmen und Äußerungen lediglich indizielle Wirkung zu. Sie bestätigen die Plausibilität der in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen aufgestellten und wohl auch von der Klägerin (GA Bl. 395) geteilten These, Poker sei ein sowohl vom Zufall als auch von der Geschicklichkeit der Spieler abhängiges, „gemischtes“ Spiel, bei dem die relative Bedeutung des Zufalls gegenüber dem Geschick aufgrund der Konvergenz der Streuung mit zunehmender Wiederholungshäufigkeit abnehme (Rock/Fiedler, ZfWG 2008, 412 (417); Holznagel, MMR 2008, 439 (443); Peren/Clement, „Messung und Bewertung des Suchtgefährdungspotentials des Onlinepokerspiels Texas Hold’em No Limit“, Februar 2012 S. 25f, abrufbar unter www.forschung-gluecksspiel.de/publikationen; ebenso die Ausführungen von Prof. ... in der Pokerstudie, S. 86).

Die Frage, ob bei einem Durchschnittsspieler von Texas Hold’em die nicht zu beeinflussenden Spielelemente den Ausgang des Spieles bestimmen oder nicht, lässt sich nach den o.g. Maßstäben nur anhand einer wertenden Analyse der Spielverhältnisse entscheiden, unter denen das Spiel gewöhnlich betrieben wird. Einer abstrakten wissenschaftlichen Klärung ist diese Frage nicht vollständig zugänglich (vgl. Rock/Fiedler a.a.O. S. 415 und 422; Holznagel MMR 2008, 444: „Abwägung“; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 10.08.2009 - 11 ME 67/09 -, juris Rdnr. 9: „wertende Gesamtbetrachtung“; ebenso Dietlein/Hecker/Ruttig, GlüStV 2. Aufl. § 3 Rdnr. 4; VG Düsseldorf, Urt. v. 21.06.2011 - 27 K 6586/08 -, juris Rdn. 82; a.A. wohl BGH, Urt. v. 28.11.2002 - 4 StR 260/02 -, juris Rdnr. 10: „Frage tatsächlicher Art, die einer tatrichterlichen einzelfallorientierten Abgrenzung (…) bedarf). Denn aufgrund der Komplexität des Pokerspiels ist eine mathematische Modellierung des Spielverlaufs unmöglich (Rock/Fiedler a.a.O.). Möglich ist allenfalls, mit den Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung Aussagen darüber zu treffen, wie wahrscheinlich es ist, dass eine bestimmte Pokerhand das Spiel gewinnt oder nicht. Eine - rechtlich allerdings notwendige - Kausalitätsaussage ist aber auch mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung naturgemäß nicht zu treffen. Dementsprechend hat Prof. ... die Ergebnisse der Feldversuche der Pokerstudie in seinem stochastischen Gutachten nur als „starkes“ bzw. „überwältigendes Indiz“ dafür gewertet, dass das Spielergebnis beim Online-Spiel von Texas Hold’em überwiegend vom Geschick des Spielers abhänge und nicht vom Zufall bestimmt werde (Pokerstudie S. 84/85). Soweit Rock/Fiedler (ZfWG 2008, 412ff) versucht haben, beim Online-Poker mit Hilfe eines CRF-Wertes (d.h. des Verhältnisses des Erwartungswertes - Geschick - zur Streuung des Spielergebnisses - Zufall -) die kritische Wiederholungshäufigkeit zu bestimmen, ab der das Geschick einen stärkeren Einfluss auf das Spielergebnis hat als der Zufall, haben sie selbst die Grenzen dieser Methodik aufgezeigt und darauf hingewiesen, dass es sich nur um eine „Momentaufnahme“ handele, welche sich retrospektiv auf eine bestimmte be-obachtete Spielperiode beziehe. Poker lasse sich „für die Zukunft“ auch mit Hilfe des CRF-Wertes daher nicht eindeutig als Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel einordnen. Gutachterlich könnte allenfalls in Wege einer Vergleichsbetrachtung festgestellt werden, in wie vielen Pokerpartien - über das reine Anfängerstadium hinaus geschulte - Durchschnittsspieler gegen reine Zufallsspieler gewinnen. Diesen Weg ist die von der Klägerin vorgelegte Pokerstudie gegangen (dort S. 100ff). Das Ergebnis hätte aber allenfalls indizielle Bedeutung, weil es nichts darüber aussagt, ob in den von den Durchschnittsspielern gewonnenen Spielen tatsächlich deren Fertigkeiten - und nicht der Zufall - den Ausschlag für die Gewinnentscheidung gegeben haben.

Aus diesen Gründen musste das Gericht den Beweisanträgen Nrn. 6, 7, 8, 9, 10, 15, 16, 17, 18 und 20 keine Folge geben. Teilweise tut man sich außerordentlich schwer, aus der Begründung dieser Beweisanträge eine fassbare, konkrete Beweistatsache herauszudestillieren und zu erkennen, welcher Erkenntnisgewinn mit den unter Beweis gestellten Behauptungen - unterstellt, sie könnten durch einen Sachverständigen bestätigt werden - überhaupt verbunden sein könnte (Beweisanträge Nrn. 7, 8, 9, 10, 15, 20). Teilweise ist die Beweiserhebung darauf gerichtet, herauszufinden, ob und inwieweit der behauptete überwiegende Geschicklichkeitsanteil von Poker überhaupt einer wissenschaftlichen Klärung zugänglich ist (Beweisanträge Nrn. 9, 10 und 20). In jedem Fall sind die Beweisanträge Nrn. 6, 7, 8, 9, 10, 15, 16, 17, 18 und 20 aber darauf gerichtet, mithilfe empirischer Spielversuche und deren Auswertung nach den Grundsätzen der Statistik/ der Stochastik/der Wahrscheinlichkeitsrechnung Indizien für eine Erfassung und Bewertung der Geschicklichkeitsanteile bei der Gewinnentscheidung zu gewinnen. Die Frage, ob bei den Gewinnern dieser Spielversuche tatsächlich deren Fertigkeiten und nicht der Zufall den bestimmenden Einfluss ausgeübt hat, wird damit aber nicht beantwortet. Eine wertende Analyse der Spielverhältnisse anhand der Regeln, unter denen das Spiel unter gewöhnlichen Umständen betrieben wird, durch das Gericht bliebe selbst dann, wenn eine sachverständige Auswertung in der Vergangenheit liegender Spielversuche entsprechend den Vorstellungen der Klägerin das von ihr erwartete Ergebnis brächte, unumgänglich.

Bei der wertenden Analyse der Spielverhältnisse der hier in Rede stehenden Texas Hold’em-Varianten sind zunächst zwei Situationen getrennt zu betrachten: Die Spielentscheidung aufgrund eines „Showdown“, d.h. anhand der besten Kartenkombination, wenn am Ende der letzten Bietrunde noch mehr als ein Spieler im Spiel ist, und die Spielentscheidung ohne „Showdown“.

(1) Bei der Entscheidung aufgrund eines „Showdown“ ist die überwiegende Zufallsabhängigkeit der Entscheidung über Gewinn des Spieles einigermaßen offensichtlich: Der Spieler erhält zu Anfang des Spieles seine beiden (bei Omaha Hold’em: vier) persönlichen Karten, welche nur er kennt. Die Karten der übrigen Mitspieler kennt er nicht. Den Umstand, ob er ein gutes Startblatt erhält, kann der Spieler nicht beeinflussen. Er ist hier vollständig zufallsabhängig. Bei seinem weiteren Agieren im Rahmen der ersten Bietrunde wird sich der Spieler von der Einschätzung des ihm vom Zufall in die Hand gespielten Startblattes leiten lassen. Hat er ein gutes Startblatt, so wird er in der Runde mitgehen. Hat er ein schlechtes Startblatt und steigt er deshalb aus dem Spiel aus, dann wirkt die Zufälligkeit der Kartenverteilung bei der Handlungsentscheidung unmittelbar fort. Geht er trotz mäßigen oder gar schlechten Startblattes in der ersten Bietrunde mit in der Hoffnung, dass er durch das Aufdecken der ersten drei Gemeinschaftskarten eine günstige Kartenkombination erhält, dann ist sein Handeln insoweit weiterhin zufallsabhängig. Auch soweit der Spieler bei seiner Handlungsentscheidung die mögliche Qualität der gegnerischen Handkarten bewertet und in diese Bewertungsentscheidung das Bietverhalten der übrigen Mitspieler berücksichtigt, ist sein Handeln zufallsabhängig. Denn wie sich die Mitspieler entscheiden - ob in dem von ihm erhofften bzw. erwarteten Sinne oder nicht - ist aus seiner Sicht als zukünftiges Ereignis ungewiss (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV). Durch das Aufdecken der drei Gemeinschaftskarten („Flop“) ergibt sich dann wiederum eine zufallsgeleitete Handlungssituation: Denn in der folgenden zweiten Bietrunde wird sich der Spieler erneut entweder von der Einschätzung des eigenen Blattes anhand der neuen Kartenkombination oder von der möglichen Qualität der gegnerischen Handkarten bzw. dem voraussichtlichem Verhalten der Mitspieler oder von beidem leiten lassen. Im ersten Fall hängt das Verhalten des Spielers vom „Flop“ ab, im zweiten und dritten Fall zusätzlich auch noch von dem Verhalten der Mitspieler als eines zukünftigen ungewissen Ereignisses. Dieselbe Situation ergibt sich sodann beim Aufdecken der vierten Gemeinschaftskarte („Turn“) und der anschließenden dritten Bietrunde bzw. dem Aufdecken der letzten Gemeinschaftskarte („River“) und der anschließenden vierten Bietrunde. Mitspieler, die im Verlauf der geschilderten Spielrunden das Spiel verlassen haben bzw. in den Setzrunden nicht mehr weiter „mitgegangen“ sind, haben zwar ihr Verlustrisiko minimiert, weil sie - mit Ausnahme der von ihnen u.U. zwangsweise zu setzenden „Blinds“ - keine (weiteren) Einsätze verloren haben. Dies ändert aber nichts daran, dass sie den „Pot“ nicht gewinnen und diese Verlustentscheidung maßgeblich durch die aufgezeigten Zufallselemente bestimmt wird. Bleibt am Ende der letzten Runde noch mehr als ein Spieler im Spiel, so entscheidet sich die Frage, wer den „Pot“ gewinnt, nach der höchstwertigen Kartenkombination aus persönlichen Karten und Gemeinschaftskarten. Diese Entscheidung ist unmittelbar zufallsgeleitet, denn auf die Zuteilung dieser Karten hat kein Mitspieler Einfluss. Auch dann, wenn Spieler beim „Showdown“ eine identische oder gleichwertige Kartenkombination haben und sich den „Pot“ zu gleichen Anteilen teilen, entscheidet allein die Zufälligkeit der Kartenvergabe über den (anteiligen) Gewinn des „Pots“.
An dieser Aussage ändert sich nichts, wenn man mit der Klägerin - entsprechend dem von ihr gestellten Beweisantrag Nr. 6 - davon ausgeht, dass nur ca. 30 % der Texas-Hold’em-Spiele durch einen „Showdown“ entschieden werden.

(2) Ist am Ende der vierten Bietrunde nur noch ein Spieler im Spiel verbleiben - und kommt es daher nicht zum „Showdown“ -, so ist die Verlustentscheidung derjenigen Spieler, die schon vorher aus den Bietrunden ausgestiegen sind, maßgeblich zufallsgeleitet. Denn sie sind zu dieser Entscheidung entweder aufgrund der Bewertung der zufällig erhaltenen eigenen Karten (in Verbindung mit den zufällig ausgelegten Gemeinschaftskarten) oder aufgrund einer Bewertung der möglichen Qualität der gegnerischen Karten oder aufgrund einer bestimmten Erwartung des voraussichtlichen Verhaltens der Mitspieler - und damit aufgrund eines als Zufall anzusehenden ungewissen zukünftigen Ereignisses - oder aus einer Kombination aus alldem gekommen.

Der zuletzt im Spiel verbliebene Spieler gewinnt den „Pot“ alleine deshalb, weil er noch im Spiel ist und die übrigen Mitspieler ihn - trotz einer möglicherweise „schlechten“ Pokerhand und obwohl sie im Falle eines Showdowns möglicherweise bessere Karten gehabt hätten - nicht zum Aufgeben bewegen konnten. In dieser Situation kommen sicherlich die beim Pokerspiel unzweifelhaft vorhandenen Geschicklichkeits-elemente zum Tragen: Auch ein nur durchschnittlich geübter Spieler wird aus dem Verhalten der Mitspieler - etwa ihrer Reaktionsgeschwindigkeit oder ihres Setzverhaltens - Rückschlüsse ziehen können und in der Lage sein zu versuchen, die Mitspieler durch eigene strategische Entscheidungen zu beeinflussen - z.B. durch die sofortige Erhöhung des Einsatzes noch vor dem Aufdecken des „Flops“, um Mitspieler zum Aufgeben zu bewegen (Holznagel, MMR 2008, 439). Der durchschnittliche Spieler wird auch bestrebt sein, die Mitspieler zu verwirren oder zu falschen Schlüssen kommen zu lassen in dem Bestreben, einen Showdown zu vermeiden und den „Pot“ trotz eigenen schlechten Blattes zu gewinnen. Aus den der Kammer vorliegenden sachverständigen Stellungnahmen (insb. Holznagel a.a.O., Peren/Clement a.a.O., König/Ciszewski, GewArch 2007, 402ff, auch Heeb a.a.O. S. 40f) wird man den Schluss ziehen können, dass beim Pokerspiel - anders als bei einem „reinen“, ausschließlich vom Zufall abhängigen Glücksspiel - geschickte Spielzüge und Taktiken in gewissem Maße erlernbar sind und dass die so erworbenen Fertigkeiten in den Spielverlauf eingebracht werden können. Diese erlernbaren Elemente führen aber weder automatisch noch gar zwingend zum Erfolg, nämlich zu einer positiven Gewinnentscheidung. Der Erfolg hängt vielmehr von dem ungewissen Verhalten der Mitspieler, von deren eigenen Fertigkeiten und Entscheidungen und damit aus Sicht jedes einzelnen Mitspielers wiederum vom Zufall ab (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV, so auch zu Recht VG Düsseldorf a.a.O. Rn. 104). Damit aber handelt es sich um Glücksspiel i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin liegt hierin keine unzulässige Ausweitung des Glücksspielbegriffs über den in § 284 StGB bundeseinheitlich geregelten Glücksspielbegriff hinaus. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht inzwischen mehrfach festgestellt (Urt. v. 22.01.2014 - 8 C 26.12 -, juris Rdnr. 11; Urt. v. 16.10.2013 - 8 C 21.12 -, juris Rdnr. 16), dass der Landesgesetzgeber den Glücksspielbegriff des GlüStV aus kompetenzrechtlichen Gründen jedenfalls nicht weiter fassen dürfe als der Bundesgesetzgeber in § 284 StGB i.V.m. § 33 h Nr. 3 GewO. Auch ein Glücksspiel § 284 StGB liegt aber schon dann vor, wenn der Spielerfolg „überwiegend“ vom Zufall abhängt, wobei das Überwiegen des Zufalls nicht bereits dadurch in Frage gestellt wird, dass über den Ausgang des Spieles anhand bestimmter Kriterien eine begründete Vorhersage getroffen werden kann. Ausreichend für die Bejahung der Glücksspieleigenschaft ist vielmehr, dass der Spielausgang von weiteren wesentlichen Unsicherheitsfaktoren bestimmt wird, die für den Spieler weder beeinflussbar noch vorausberechenbar sind (BGH, Urt. v. 28.11.2002 - 4 StR 260/02 -, juris Rdnr. 8). Dies ist bei den hier in Rede stehenden Glücksspielvarianten wie ausgeführt der Fall.

Aus den genannten Gründen musste das Gericht den Beweisanträgen Nrn. 6 und 7 nicht nachgehen. Es kann im vorliegenden Zusammenhang als wahr unterstellt werden und ist für die Qualifizierung der hier streitgegenständlichen Pokervarianten unerheblich, dass ca. 70 % der Spiele nicht durch einen „Showdown“ beendet werden. Es kann mit der Klägerin auch angenommen werden, dass die Gewinnentscheidung in diesen Fällen „nicht unmittelbar“ von der Kartenverteilung und damit „nicht unmittelbar“ vom Zufall abhängt. Auch die von ihr mit Beweisanträgen Nrn. 6 und 7 behaupteten Einflussnahmemöglichkeiten (insbesondere) geschickterer Spieler auf das Spielergebnis mögen gegeben sein. All dies ändert nichts daran, dass es völlig ungewiss und damit zufällig ist, ob sich die gegebenen Einflussnahmemöglichkeiten im weiteren Spielverlauf auch tatsächlich realisieren und - darüber hinaus - bei der konkreten Gewinnentscheidung den Ausschlag geben.

Donnerstag, 23. Januar 2014

Bundesverwaltungsgericht: Bloße Teilnahmegebühr macht Poker-Turnier noch nicht zum entgeltlichen Glücksspiel

Pressemitteilung vom 22. Januar 2014

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass ein Poker-Turnier in der Variante „Texas Hold’em“ jedenfalls dann kein Glücksspiel im Sinne des § 284 Strafgesetzbuch und des § 3 Abs. 1 Glücksspielstaatsvertrag ist, wenn von den Spielern lediglich eine Teilnahmegebühr von 15 € verlangt wird, die allein die Veranstaltungskosten deckt.

Die Klägerin veranstaltet in Mitteldeutschland Poker-Turniere in der Variante „Texas Hold’em“. Sie wollte im Juni 2010 ein sog. Qualifikationsturnier in Lutherstadt Wittenberg durchführen, das jedermann zur Teilnahme offen stand und dessen Gewinnern - abgesehen von geringwertigen Pokalen - die unentgeltliche Teilnahme zu weiteren Turnieren eröffnete, bei denen größere Gewinne in Aussicht gestellt wurden. Die beklagte Stadt Lutherstadt Wittenberg untersagte das Turnier mit der Begründung, es handele sich um ein verbotenes Glücksspiel. Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter anderem vortrug, die Teilnehmer hätten über eine Teilnehmergebühr i.H.v. 15 € hinaus keinen geldwerten Einsatz zu leisten, weshalb es sich nur um ein Unterhaltungsspiel handele. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, auch eine bloße Teilnahmegebühr sei ein Entgelt für die Erlangung einer Gewinnchance, weil damit der Weg zur Erlangung von Gewinnen eröffnet werde.

Auf die Sprungrevision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Zwar liegt ein Glücksspiel vor, wenn von den Teilnehmern ein Entgelt für die Erlangung einer Gewinnchance abverlangt wird. Hierfür genügt jedoch nicht jede Geldzahlung, erforderlich ist vielmehr, dass das Entgelt gerade für die Gewinnchance gefordert wird, dass also zwischen der Zahlung und der Gewinnchance ein notwendiger Zusammenhang besteht. Daran fehlt es bei einer bloßen Teilnahmegebühr jedenfalls dann, wenn damit ausschließlich oder doch ganz überwiegend die Veranstaltungskosten gedeckt werden. Weil das Verwaltungsgericht bislang nicht geklärt hat, ob die von der Klägerin verlangte Zahlung diese Voraussetzungen erfüllt, wurde die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

BVerwG 8 C 26.12 - Urteil vom 22. Januar 2014

Vorinstanz:
VG Halle 3 A 124/11 - Urteil vom 11. Juni 2012